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Rezensionen > Berg, Sibylle: Ende gut

Und wenn die Welt voll Teufel wär'
oder Frau Berg findet Frieden in Finnland

Sibylle Berg: Ende gut. Roman.
K�ln: Kiepenheuer & Witsch Verlag 2004.
ISBN 3-462-03358-1
336 Seiten
EURO 19,90

Seit sie die literarische Szene dieses Landes betrat, ist Sibylle Berg eine verl�ssliche Gr��e. Man (und nat�rlich auch frau) wei�, was man von ihr zu erwarten hat, und Frau Berg entt�uscht uns nie. Mit ihrem neuesten Text, einer apokalyptischen tour de force quer durch die gesamte Nachwenderepublik, ist ihr nun etwas gelungen, was dessen epische Vorg�nger in dieser Totalit�t weder anstrebten noch erreichten: Eine (Schreckens-) Vision unserer europ�ischen Gegenwart vor dem Hintergrund �kologischer Katastrophen, islamistischen Terrors und amerikanischen Supermachtgebarens.

Allerdings haben die kleinen Schrecken Tradition in den bisherigen B�chern der zu Weimar geborenen Autorin, die heute in Z�rich lebt. Wer immer sich auf Bergs Welten einlie�, watete wahrlich noch nie im Gl�ck, sondern geriet in eine Art Vorh�lle, die die Menschen sich gegenseitig bereiteten ohne Ansehen von Person, Alter und Herkunft. Allenfalls ein, zwei Auserw�hlte stachen aus dem jeweiligen menschlichen Gruselkabinett hervor, wurden aber umso schneller von den allseits herrschenden gnadenlosen Verh�ltnissen eingeholt, je unbedingter ihr Ausbruchsverlangen war. Und auch, wenn die B�cher neckische Namen trugen wie "Sex II", "Amerika" und "Gold", also mit Gl�cksverhei�ungen spielten, meistens g�ng alles von Anfang an den Bach hinunter: Anstand, Ehrlichkeit und Existenz.

Das konnte schon deprimieren, zumal die finsteren Landschaften und Szenarien der B�cher nirgendwo ein Schlupfloch ins Helle besa�en. Bergs Figuren taumelten durch ein Jammertal, das meistens Deutschland hie� und nur durch eine Qualit�t gekennzeichnet war: Hier konnte einem - jenseits von Ost und West, Mann und Frau, Arm und Reich, Rot und Schwarz - einfach alles passieren, nur das Gute nicht.

An dieser abgrunddunklen Kontrastierung menschlichen Miteinanders h�lt auch der Roman "Ende gut" fest. Nur geht es in ihm um mehr als eine Clique in einer Kleinstadt, einen Menschenschlag inmitten einer Landschaft - es geht um alles und darum, dass alles zu Ende geht. Noch einmal wird eine Rasse besichtigt, die menschliche. Und der Autorin f�llt kein Grund ein, warum gerade sie gerettet werden sollte aus dem allgemeinen Untergang, den sie ihrer Umwelt und sich selbst als deren Teil von lange her bereitet hat.

Bergs Heldin, eine Frau um die Vierzig, abgekl�rt und allein, wenig mehr hoffend und innerlich einverstanden mit den Gewalten, die alles Leben um sie herum verzehren, zu m�de schon zur ganz gro�en Revolte, aber einen kleinen Funken von Lebens- und Liebesgier wie eine letzte Habseligkeit bewahrend, taumelt durch die Kulissen eines wiedervereinigten Deutschland zu einer Zeit, die nicht n�her bestimmt wird, aber keineswegs so fern in der Zukunft liegt, wie der Leser es manchmal gerne m�chte. Alles ist da, was auch uns heute schon bedroht, nur konkreter, pr�senter, unausweichlicher. Seuchen w�ten. Extremisten bomben. Ideologen vernebeln. Aber dem Ganzen ist seine finale Tendenz nicht auszutreiben. Nicht in Ost (sch�n und bedenklich, wie trostlos und n�chtern Sibylle Berg ihre Heimatstadt Weimar heute sieht, nat�rlich �berh�ht, aber �berh�ht ins Kenntliche), nicht in West, weder bei denen, die noch irgendwie zu existieren verm�gen im allgemeinen Niedergang, noch bei den Randgestalten, den Outkasts.

Was alle fr�heren B�cher formal vorbereiteten, in diesem Roman kulminiert es wahrlich. Und es erzeugt in seiner Gesamtheit einen Stil, der nicht beliebig ist, sondern wiedererkennbar. So, unter Einsatz dieser Mittel, schreibt aktuell in Deutschland nur Sibylle Berg, ja sie hat die Komposition dieser Mittel bei ihren k�rzeren erz�hlerischen Experimenten zuvor erfunden und erprobt. Hat Netze ausgespannt �ber die unheile Welt und in die Knotenpunkte dieser Netze ihre traurigen Figuren gesetzt, die alle immer wieder etwas miteinander zu tun haben, ob sie wollen oder nicht. Die sich verletzen, aussaugen, t�ten und gegenseitig verkaufen. Deren einziger gemeinsamer Nenner der Trost ist, der nicht kommen will. Die Liebe, die fehlt. Die Erl�sung, die ausbleibt.

Nun irren sie umher wie Schatten, Gespenster, Wiederg�nger. Suchen sich einzig zu dem Zweck, sich zu verletzen. Wetzen die Messer, laden die Flinten, �ffnen die Bombensch�chte ihrer jeden Punkt der Erde erreichenden Flugzeuge. Treffen sich, laufen einander �ber den Weg, fallen sich auch in die Arme, aber blicklos, stumpf und voll heimlichem Hass.

Nein, das ist nicht sch�n. Und wahr ist es auch (noch) nicht. Aber es k�nnte wahr sein. Alles, was Sibylle Berg in diesem Roman beschreibt bis hin zum atomaren Krieg, ist in seiner fatalen Tendenz angelegt im Heute. Eingestreut in ihren Text hat die Autorin so genannte Infohaufen, die das belegen. Inseln, da die Fiktionalit�t des Rundherum der Faktizit�t des B�sen weicht. Wo Aufkl�rung betrieben wird mit dem Wissen im Hintergrund, das alle Aufkl�rung nichts nutzt, ja oft zum Gegenteile dessen f�hrt, was sie recht eigentlich bezweckte.

Der Fluchtpunkt von "Ende gut" ist eine doppelte Utopie. Am Ende des Buches zieht seine Heldin, die bis dahin als einsame W�lfin rastlos Deutschland durchstreift hat, mit einem stummen Mann zusammen, ohne Liebe vorerst, aber immerhin zu zweit. Und das Paar, welches zufriedener ist, als wenn jeder f�r sich allein geblieben w�re, sucht sich auf einem finnischen Inselchen einen neuen Lebensraum, den es nicht mehr erobert im hergebrachten Stil seiner Gattung, sondern einfach nur still und unauff�llig bezieht. Hier wartet man das Ende ab, sein privates und jenes der vom Menschen gemachten Welt. Hier kann sich fast so etwas wie ein Happy End ereignen, etwas f�r die Berg bis dato nicht Vorstellbares und auch f�r den eifrigen Berg-Leser so �berraschend, dass er sich erst einmal daran gew�hnen muss. Doch der Roman endet tats�chlich mit dem W�rtchen gut. Aus war das letzte Wort von "Sex II" gewesen, Termine jenes von "Amerika". Da darf jetzt schon von einem - vorsichtigen - neuen Optimismus die Rede sein. Ganz leise darf man sich ein paar Sekunden freuen mit der Autorin und an den Filmtitel "Lebe lieber unaufff�llig" sich erinnert f�hlen - Zu welchem Film geh�rt der eigentlich, oder irrt der Rezensent hier aus Sympathie mit der Lebenshaltung, die Sibylle Berg propagiert, und hie� der bewu�te Film etwa ganz anders?

Allein hierin liegt nach ihrer Odyssee durch einen Teil des alten Europa das Geheimnis m�glichen Weiterlebens f�r die Romanheldin: In der Zur�cknahme des �bergro�en, religi�s wie ideologisch begr�ndeten Anspruchs des Menschen auf die unbeschr�nkte Macht �ber alles, was neben und mit ihm existiert. Im Regredieren des F�hlens, Denkens und Handeln auf das Nat�rlich-Kreat�rliche. Im so verlust- wie gewinnreichen R�ckzug an die R�nder. Finnland ist in jeder Hinsicht - ich hoffe, die Finnen verzeihen diese Aussage, aber der Roman legt sie nicht nur nahe, er formuliert sie auch genauso - unbedeutend in der Welt. Niemand giert danach, seinem Boden Rohstoffe zu entrei�en. Niemand will hier immer neue St�tzpunkte errichten. Niemand sich mit Finnland verb�nden im Kampf gegen einen Dritten. Kurz gesagt: Hier kann man wirklich unbehelligt leben. Keine der aktuellen Weltkatastrophen erreicht dieses idyllische Land im Norden Europas. Jedenfalls noch nicht.

Und f�r sich selbst zieht die Heldin der Berg noch ein ganz privates Res�mee, das auch die unmittelbare Zukunft einschlie�t. Wir wollen es hier am Ende zitieren in der Hoffnung, es m�ge der Autorin selbst erhalten bleiben und in ihrem n�chsten Text hoffentlich nicht schon vergessen sein: "Ich mache weiter den Garten, das Gem�se, das Essen und lese. Lesen gen�gt als Lebensinhalt, merke ich. Und jemanden haben, mit dem man das teilt, das Leben." (S. 333)

Dietmar Jacobsen

© TourLiteratur / Autor
Alle Rechte vorbehalten

Homepage des Autors Dietmar Jacobsen:
www.text-und-web.de

Buchcover: © Kiepenheuer & Witsch, Köln

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