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Rezensionen > Franz Hodjak: Ein Koffer voll Sand

Die sinnlose Flucht vor Ithaka
Franz Hodjaks neuer Roman "Ein Koffer voll Sand"

Franz Hodjak: Ein Koffer voll Sand. Roman.
Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag 2003.
ISBN 3-518-41394-5
244 Seiten.
EURO 19,90

Anf�nglich verl�uft die Fahrt noch reibungslos. Bernd Burger ist mit Frau und Tochter aus Siebenb�rgen aufgebrochen, um in Deutschland ein neues Leben zu beginnen. Ziel ist das Auffanglager Hamm. Rum�nien und Ungarn werden z�gig mit dem Auto durchquert, aber am Bodensee verkompliziert sich die Sache: �sterreich, Schweiz, Deutschland - die L�nder liegen dicht beieinander, Grenzen geben sich als solche nicht zu erkennen, Passkontrollen finden nicht statt, wer soll da wissen, an welchem Punkt der Reise man gerade angelangt ist? Bernd Burger ist verwirrt, geradezu emp�rt, dass ihm die klare Sicht auf den eigenen Standort verwischt wird.

Und so kommt es, wie es nach der grotesken Dramaturgie des Buches kommen muss: Mal ist man auf dem Weg zum Lago Maggiore und landet unversehens in Vaduz, mal schl�gt man die Richtung nach Frankreich ein, um sich in Romanshorn wiederzufinden, dann wieder wird Freiburg als Etappenziel ausgew�hlt und steht staunend vor dem Ortsschild von Colmar. Und das alles, weil sich Melitta, die Frau, als unf�hig erweist, Stra�enkarten zu lesen und Bernd keine Fahrerlaubnis besitzt. Eine Odyssee, die in Beliebigkeit versandet? Eher eine Irrfahrt, die mit ihrem unausweichlichen Ende droht.

So sieht es Bernd Burger, der froh dar�ber ist, nicht, noch nicht ankommen zu m�ssen. Was w�re denn auch dieses Ankommen? Nichts als die absurde Verdopplung der Heimatlosigkeit. Dabei macht Bernd Burger die eine schon genug zu schaffen, die er ein Leben lang mit sich herumschleppt. Nein, Heimat, diesen uralten, kl�glichen Mythos, hofft Bernd Burger nicht zu finden, zumal wenn die neue das verspricht, was die alte schon nicht halten konnte: Gl�ck, Identit�t, Geborgenheit.

Gl�ck? Einer, der tagt�glich damit besch�ftigt war, Katastrophen aus dem Weg zu gehen, so r�sonniert Burger, kann mit dem Gl�ck nichts anfangen, selbst wenn es sich monstr�s vor ihm auft�rmt. Identit�t? Diesen Stempel der Endg�ltigkeit, der letztg�ltigen Gewissheit m�chte sich Burger nicht aufdr�cken lassen. Geborgenheit? Nur im Zustand der Entwurzelung, der Hilflosigkeit, wachsen einem die Fl�gel, die man braucht, um nicht abzust�rzen. So bleibt Bernd Burger ein Suchender, dem der Gegenstand seines Suchens allm�hlich abhanden kommt. Bernd Burger taucht ab in die Geschichte der eigenen Zuversichtslosigkeit, erkundet Vergangenheit und Gegenwart mit schielendem Blick, weil nur der dazu bef�higt, das Verlockende der Welt aufzusp�ren, das sich irgendwo jenseits der �den Daseinsrealit�t eingegraben haben muss.

In Hotelzimmern und Gartenlokalen blickt Burger auf ein gar nicht so altes Leben zur�ck, das, an gerader, einst real existierender Schnur aufgezogen, voller Br�che, existentieller Ungereimtheiten, unerf�llter Sehns�chte steckt. Die Erinnerungen helfen ihm, auch wenn - oder gerade weil - sie sich zu keinem Heimatbild zusammenf�gen. Aber sie erm�glichen eines: die messerscharfe Analyse dessen, was gewesen ist, den emotionsbefreiten Blick auf zerst�rte Lebensentw�rfe, etwa auf den des alten Studienfreundes Marian, mit dem Burger einst im tristen Alltag des Ceausescu-Sozialismus so etwas wie einen kurzen Sommer der Anarchie erlebt und der aus scheinbar unerfindlichen Gr�nden seine idealistische Vergangenheit an den Nagel geh�ngt hatte - ein zum Leisetreter mutierter Sonderling. Freilich ein Leisetreter, der sich als Propagandist f�r die Securitate mit dem polternden Stiefelschritt der Staatsautorit�t auf den Weg machte, stets auf der Suche nach Menschen, die ihm in seiner geschichtslos gewordenen Gegenwart Gesellschaft leisten. Burger hat damals dankend abgelehnt, sich den bet�renden Lockrufen der Macht und der Aussicht auf ein materiell verbessertes Leben verweigert.

Was bleibt einem Menschen, der als gl�cklichste Zeit seines bisherigen Lebens den komat�sen Zustand ausmacht, in dem er sich einmal nach einer Beinoperation zwei Tage lang befunden hat? Der Zynismus als Filter der durchlebten rum�niendeutschen Wirklichkeit. Die Sprache, die dazu da ist, das aufzuzeichnen, was alles aufgegeben wurde in diesem Leben. Schlie�lich: das Recht auf Angst, immerhin ein Recht. Und dann noch der Ekel, als Vorstufe der Einsamkeit. F�r den Helden von Hodjaks letztem Roman "Der S�ngerstreit" (2000), den siebenb�rgischen Pferdeh�ndler Klingsor, war der Ekel immerhin noch die letzte m�gliche Heimat. Selbst diese kleinste aller tr�gerischen Hoffnungen bleibt Bernd Burger verwehrt.

Nur die Erkenntnis nicht: dass die Flucht vor Ithaka, vor dem Ankommen, im Grunde nur ein unsinniges Abenteuer war, dem die Kapitulation auf den Fu� folgen musste: Die Ankunft ist nicht mehr l�nger hinauszuz�gern, die Familie landet im Aussiedlerlager in Hamm. Jetzt, dar�ber ist sich Bernd Burger im Klaren, beginnt die eigentliche Irrfahrt. Weggehen ist kein Heimatverlust, Ankommen kein Heimatgewinn. Das ist die tragische Erkenntnis Burgers. Und Tragik, das wei� keiner besser als Franz Hodjak, ist die beste Brutst�tte grotesker Komik, einer Komik, die nur jener entwickelt, der sich der Absurdit�t des Daseins bewusst ist.

Franz Hodjak, 1944 in Klausenburg geboren, 1992 als letzter der bekannten rum�niendeutschen Autoren in Deutschland eingetroffen, macht es seinen Lesern nicht leicht. Seine Prosa ist von ausgefeilter Sperrigkeit, spr�dem Charme und verzweifelter Komik, umh�llt von glasklarem Metaphernnebel. Sie zieht den Leser geradezu unweigerlich in den Bann ihrer erschreckenden Aufrichtigkeit, macht beklommen, zuweilen ratlos. Hier schreibt einer, weil er schreiben muss, um sich der Ungewissheiten des eigenen, lange Zeit fremd bestimmten Lebens zu vergewissern, der vielleicht darauf hofft, dass ihm ein paar Bruchst�cke der erlittenen Lebenswiderspr�chlichkeit ins l�chrige Netz gehen. Sicher: Es ist ein Erz�hlen gegen die Windm�hlen erratischer Erinnerungsbl�cke. Gerade deshalb werden wir noch weitere B�cher zum Thema von Hodjak zu erwarten haben. Und das ist gut so.

Holger Dauer

© TourLiteratur / Autor
Alle Rechte vorbehalten

Eine leicht gekürzte Fassung der Rezension erschien unter dem Titel "Flucht vor der Ankunft" zuerst in der Berner Tageszeitung "Der Bund" (Nr. 120 vom 24. Mai 2003, Wochenendbeilage "Der kleine Bund", S. 7)

Buchcover: © Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main

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