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Aufsätze > August von Kotzebue, "Die deutschen Kleinstädter"

Szene aus Kotzebues Titel, Thesen und (bürgerliche) Temperamente -
August von Kotzebues Lustspiel "Die deutschen Kleinstädter" (1803)

Kotzebues Lustspiel "Die deutschen Kleinstädter" aus dem Jahr 1803 zählt zu den erfolgreichsten und langlebigsten Stücke des 19. Jahrhunderts. Direktes Vorbild war die ein Jahr zuvor in Paris zur Uraufführung gelangte, von Kotzebue übersetzte ("Die französischen Kleinstädter") Komödie "La petite ville" des französischen Theaterdichters Louis Benoît Picard (1769 - 1828), eines Autors, den auch Schiller sehr schätzte. [1] Der europaweit bekannte Dramenautor löste heftigste Reaktionen aus. Während Karl August Böttiger, Direktor des Weimarer Gymnasiums und persönlicher Freund Kotzebues, das "mit der reichsten Ader des Witzes und mit ächt Molierischen Zügen und Situazionen ausgestattete Stück" [2] lobte, wertete August Wilhelm Schlegel die "Deutschen Kleinstädter" als "Posse, wo mit vieler Plattheit einige lustige Situazionen erkauft werden" [3]; ironisch dankt er dem Autor "für den guten Willen [,] Holbergisch seyn zu wollen", um ihm zugleich dessen "Gründlichkeit der Komposizion" eindeutig abzusprechen. [4] Handlung und Anlage des Stückes weisen all jene Merkmale auf, die den Publikumserfolg so vieler Popularstücke nicht nur von Kotzebue sicherten: eine geschickte, wenn auch zu offensichtlich konstruierte Handlungsführung, ein durch vielerlei Turbulenzen in Gang gesetzter Verwicklungs- und Verwechslungsmechanismus, der zu einer zeitweiligen Störung einer festgefügten Ordnung, schließlich jedoch zu deren Rekonstituierung führt, geschickt gestaltete Parallel- und Nebenhandlungen, zwar "krude Inkohärenzen in der Motivierung der Handlungsteile" [5], die den Eindruck nahezu perfekter Beherrschung aller bühnenwirksamen Mittel jedoch keineswegs verwischen können.

Inhalt
Sabine, die schöne und liebenswert-natürliche Tochter des Krähwinkler Bürgermeisters Nikolaus Staar, ist nach längerem Aufenthalt in der nahegelegenen Residenzstadt wieder in ihre kleinstädtische, von lächerlichem Machtdünkel und bornierter Bürokratenherrschaft geprägte Heimat zurückgekehrt. Die Anfangsszenen zeigen sie in ungeduldig-freudiger Erwartung einer Nachricht ihres geliebten Olmers, jenes jungen Mannes, den sie in der Stadt kennengelernt und der ihr versprochen hat, ihr in ihren Heimatort zu folgen, um dort um ihre Hand anzuhalten. Ein kleines Porträt Olmers, das sie stets mit sich führt, gerät versehentlich in die Hände ihrer Großmutter, der Frau Untersteuereinnehmerin Staar; um eine frühzeitige Entdeckung ihrer Liebschaft zu Olmers zu vermeiden, wird sie von Sabine im Glauben gelassen, es handele sich um das Abbild des Königs. Wenige Augenblicke später wird der kleine Marktflecken von der Nachricht aufgeschreckt, auf der Landstraße sei eine Kutsche verunglückt, der einzige Reisegast werde mit schweren Verletzungen in den Ort gebracht. Aufgrund eines sich rasch verbreitenden Gerüchts geht man bei den Honoratioren Krähwinkels davon aus, es müsse sich um eine hochgestellte, vom Minister autorisierte Persönlichkeit handeln, die das Unglück ereilte. In hektischer Eilfertigkeit wird ein festlicher Empfang vorbereitet, zu dem die maßgebende Gesellschaft hinzugebeten wird: die beiden Muhmen Brendel und Morgenrot, Frau Staar, der Vizekirchenvorsteher Staar, Bruder des Bürgermeisters, sowie der Bau-, Berg- und Weginspektorssubstitut Sperling, ein trocken-humorloser, naiv-lebensferner Bürokrat, der sich der Dichtkunst verschrieben hat und der Sabine als Gatte zugedacht ist. Der Fremde, der sich wider Erwarten bester Gesundheit erfreut, entpuppt sich als der von Sabine sehnsüchtig herbeigewünschte Olmers, der freilich von der Großmutter, die sich des Bildnisses erinnert, als König identifiziert wird, der wohl, so ihre Vermutung, inkognito im Lande unterwegs sei.

Olmers begegnet der übertrieben-gekünstelten Aufmerksamkeit, die ihm zuteil wird, mit geradliniger Offenheit und ironischer Distanz. Ohne Umschweife klärt er das Missverständnis auf und gibt zu erkennen, dass er ein einfacher Mensch ohne Titel sei, der gedenke, Sabine zu heiraten. Die kleinstädtische Gesellschaft reagiert mit harscher Ablehnung. Doch ein Zufall kommt den Liebenden zu Hilfe: Eine Kuhdiebin, die seit mehreren Jahren im Krähwinkler Gefängnis sitzt, ohne dass man ihr bisher den Prozeß machen konnte, da man sich mit der Nachbarstadt über die gerichtliche Zuständigkeit nicht einigen konnte, entflieht ausgerechnet am Vorabend der endgültigen Klärung des Vorfalls. Staar, um seines Triumphes beraubt, muss überdies befürchten, dass die Affäre, so sie bekannt werden sollte, in der Residenz Aufsehen erregen wird. In dieser Situation gibt sich Olmers als "Geheimder Kommissionsrat" zu erkennen und verspricht, ein gutes Wort beim Minister einzulegen. Staar, dem seine Reputation über alles geht, willigt schließlich in die Hochzeit ein, und auch die übrige Gesellschaft, nunmehr durch den doch vorhandenen Titel des Werbers beruhigt, verweigert der Verbindung von Sabine und Olmers nicht mehr länger ihre Zustimmung.

Lüge, Titelsucht und Klatsch-Kultur
Auffallend ist zunächst die Tatsache, dass sich der Stadt-Land-Antagonismus, das sonst vorherrschende Prinzip "Wunschbild Land und Schreckbild Stadt" [6] bei Kotzebue ins Gegenteil verkehrt. Die Residenz, üblicherweise der Ort des Lasters, der Ränkespiele, der Prädominanz des uneigentlichen Lebens, wird bei Kotzebue zur Stätte des vorurteilslosen, auf wirkliche zwischenmenschliche Kommunikation angelegten Diskurses. Die Publikumserwartung dürfte eine andere gewesen sein. In dem erfolgreichen Originallustspiel "Das Ehepaar aus der Provinz" des in Leipzig geborenen, später in Wien als Hoftheaterdichter wirkenden Johann Friedrich Jünger (1759 - 1797) lassen sich jene Topoi residenzstädtischer Skepsis finden, die für die meisten der damaligen Stücke Selbstverständlichkeit beanspruchen konnten. Gleich zu Beginn heißt es dort:

"[...] wir Kleinstädter sind für das Natürliche. So verlangen wir zum Beispiel von einem Geschöpfe, dem die Natur einmal die Rolle eines Mannes auftrug, daß es diese Rolle auch natürlich spielt: aber die meisten von euern galanten Herrn geben sich alle Mühe vor der Welt, die Natur Lügen zu strafen." [7]

Galanterie, Lüge und Intrige als Wesensmerkmale der Residenz, Natürlichkeit als Nobilitierungssignum der Kleinstadt - so wäre der Erwartungshorizont des zeitgenössischen Rezipienten formelhaft zu umschreiben. Die im Stück zum Gegenstand spöttischer Kritik gemachte sklavische Beachtung standesgemäßer Verhaltensweisen, die die Krähwinkler Gesellschaft ostentativ einfordert, die unhinterfragte Unterwerfung unter eine nahezu als heilig geltende Obrigkeit, die lächerliche Kultivierung der Titelsucht, das ausschließliche Sprechen in Floskeln - all dies lässt den Eindruck einer völligen Erstarrung des individuellen Lebens entstehen, eines normierten Öffentlichkeitslebens und uniformierten kollektiven Daseins. Zu Beginn des IV. Aktes reflektiert Olmers über diese "herdenhafte Entindividualisierung" [8]:

"Dem Himmel sei Dank, daß die Menschen in kleinen Städten wenigstens früh schlafen gehn. Bin ich doch den ganzen Tag nicht Herr einer Minute gewesen. Das fragt, das komplimentiert, das schnattert unaufhörlich; will alles wissen und weiß doch alles schon besser. Keinen Augenblick lassen sie den lieben Gast allein [...]. Er muß essen ohne Hunger, trinken ohne Durst, sich setzen ohne Müdigkeit; ihre Wunderwerke sehen, ihre Stadtklatschereien hören und alles loben und preisen." [9]

Die kleinstädtische Klatsch-'Kultur' [10] wird mit der informellen Ausrichtung des alltäglichen Lebens in der Residenzstadt konfrontiert: In III,5 entwirft Sabine ein Bild residenzstädtischen Lebens, das Frau Staar in Angst und Schrecken versetzt:

"Liebe Großmutter, in der Residenz verbannt man soviel wie möglich allen Zwang. Komplimente sind dem, der sie macht, im Grunde ebenso lästig als dem, der sie empfängt. Man läßt die Leute essen, wovon sie Lust haben und soviel sie mögen, man nötigt nie. Das Tischgebet ist nicht mehr gebräuchlich, weil die Kinder nur plappern und die Erwachsenen nichts dabei denken. [...] Der Titel bedient man sich bloß im Amte, im geselligen Leben würden sie nur die Freude verscheuchen." (S. 46f.)

Bezeichnenderweise antwortet Frau Staar, die sich der mentalen Umklammerung ihres Kollektivs nicht entziehen kann: "Hör auf! ich bekomme meinen Schwindel." (S. 47)

Die Residenz, im Kotzebueschen Kontext der "Hort des offenen, repressionsfreien Diskurses" [11], wird im Reflex der Provinzler in der Tat zum Kulminationspunkt rigoroser Ablehnung, diesmal aber nicht, weil sie als Brutstätte der Uneigentlichkeit stigmatisiert würde, sondern weil sie in ihrer lebenspraktischen Orientierung zu einer Erschütterung tief eingewurzelter Dispositionen zu führen droht, die von einem hohen Formalisierungsgrad gekennzeichnet sind und die zugleich als Selbstversicherungsgarant erlebt wird. Das geradezu Farcenhafte der Krähwinkler Titelsucht zeigt sich beispielsweise im I. Akt; Frau Staar, die von der Ankunft des vermeintlichen Königs erfährt, beauftragt die Magd, die wichtigsten Damen des Orts zum Empfang zu bitten:

"Lauft doch geschwind hin zu meiner Muhme, der Frau Oberfloß- und Fischmeisterin Brendel, und zu meiner Muhme, der Frau Stadtakzisekasseschreiberin Morgenrot, und sprecht: die Frau Untersteuereinnehmerin lasse sich der Frau Oberfloß- und Fischmeisterin und der Frau Stadtakzisekasseschreiberin ganz gehorsamst empfehlen, und wenn die Frau Oberfloß- und Fischmeisterin und die Frau Stadtakzisekasseschreiberin die Güte haben wollten, die Frau Untersteuereinnehmerin auf einen Augenblick zu besuchen, so würde die Frau Untersteuereinnehmerin solches mit großem Dank erkennen, sintemal etwas sehr Wichtiges vorgefallen sei." (I, 11, S. 19)

Und auch Sabine weiß ihrem Geliebten zu versichern:

"Ohne Titel kommen Sie in Krähwinkel nicht fort. Ein Stück geprägtes Leder gilt hier mehr als ungeprägtes Gold. Ein Titel ist hier die Handhabe des Menschen, ohne Titel weiß man gar nicht, wie man ihn anfassen soll. [...] Wer nicht zwölf bis fünfzehn Silben vor seinen Namen setzen kann, der darf nicht mitreden [...]. Die Titel nehmen wir mit zu Bette und zu Grabe, ja, wir nähren eine leise Hoffnung, daß einst an jenem Tage noch manches Titelchen aus der letzten Posaune erschallen werde. Kurz, mein schöner Herr, ohne Titel bekommen Sie mich nicht." (IV, 2, S. 65)

A.v. Kotzebue: Die deutschen Kleinstädter. Stuttgart: Reclam 1994Die interpersonale Kommunikation innerhalb der Provinzstadt Krähwinkel lehnt sich eng an die höfische Komplimentierkunst an, die die Lebenswelt, den zwischenmenschlichen Umgang fast völlig überlagert und an Ausschließlichkeit und Konsequenz nicht zu überbieten ist. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts entwickelte sich, ganz im Sinne der Aufklärung, ein sich immer deutlicher vom Adel differierendes Kommunikations-Verhalten, das sich im Bürgertum allmählich durchsetzte. Dabei markierte Knigges 1788 erstmals veröffentlichtes Buch "Über den Umgang mit Menschen" eine "Art Epochenschwelle hin zu 'bürgerlichen' Umgangs- und Kommunikationsformen" [12]. Knigges eindringlicher Appell an individuelle Selbstverantwortlichkeit, sein Plädoyer für natürliche und redliche Umgangsformen bewirkte in der Folge eine nicht mehr zu übersehende und in fast alle lebensweltlichen Bereiche eindringende Informalisierung. "Keine Regel ist so allgemein", schreibt Knigge im ersten Kapitel, "keine so heilig zu halten [...] als die: [...] stets wahrhaftig zu sein in seinen Reden." [13] In seiner Lebensausrichtung hat der mündige Mensch darauf zu achten, "mäßig zu sein und bescheidene Wünsche zu nähren" [14]. Vornehmliches Leitprinzip soll sein: "Sei selbständig. Was kümmert dich am Ende das Urteil der ganzen Welt, wenn du tust, was du sollst [...]." [15]

Krähwinkel zeigt sich von diesen aufklärerischen Implikationen unberührt. Der eitel-selbstgefällige Provinzialismus, der sich unverfroren vermeintlich weltgewandter Gesten bedient, offenbart sich als ein auf zwanghaftes Zeremoniell reduziertes Dasein. Diese extreme Konventionalisierung des Umgangs ist etwa in mentalitätshistorischer Hinsicht gleichsam als Abwehrreaktion zu interpretieren, die sich gegen all jene richtet, die die als unverrückbar empfundene Ordnung mit ihrer unverblümt gelebten Individualität zu sprengen drohen - ein im Grunde mental verankerter Automatismus, der sich im Sinne der Aufrechterhaltung des Kollektivs als notwendig erweist. Die bereits angesprochene Differenzerfahrung führt nicht zu partieller oder gar gänzlicher Auflösung verhärteter Strukturen, sondern ganz im Gegenteil zu deren Zementierung.

Olmers: Störenfried und Retter des Kollektivs
Eine nähere Betrachtung der Rolle Olmers dürfte sich als besonders spannend und aufschlussreich erweisen. Dessen Einlenken in die Vorgaben der Krähwinkler, in der Forschung zuweilen als "Anpassung wider besseres Wissen und letztlich ohne Grund" [16] apostrophiert, fordert Fragen nach den möglichen Ursachen dieses nicht unmittelbar einleuchtenden dramaturgischen Vorgehens Kotzebues heraus. Olmers, der das Krähwinkler Klima emotionaler Reduktion, manischer Eigenbezogenheit und hysterischer Abwehr des Nicht-Eigenen sehr wohl spürt und auch verbalisiert, vermag sich offenbar des mentalen Übergriffs nicht zu erwehren. Anfangs als Provokateur und Störenfried [17] auftretend, im weiteren Verlauf des Lustspiels denn auch folgerichtig als "Raubbiene in unserm netten Bienenkorbe" (III,9, S. 53) bezeichnet, fügt er sich gegen Ende nicht nur in das Kollektiv ein, sondern rettet und reorganisiert vielmehr die Krähwinkler Ordnung, indem er sich als Repräsentant dieser Ordnung - freilich auf einer höheren Ebene - zu erkennen gibt. Die Aussöhnung mit dem Kollektiv geschieht allerdings mehr unter dem Einfluss eines mentalen Übergriffs, dem er sich nicht zu erwehren vermag. Die nahezu nahtlose Anschlussfähigkeit vermeintlich unterschiedlicher Mentalitäts-Spektren verweist darauf, dass die im Drama projektierte Harmonisierung weniger als Akzeptanz des Anderen denn als Wiedererkennen des Eigenen in anderer Gestalt zu verstehen ist. Die einseitige Aufhebung der Dialektik von Dissens und Konsens findet ihren sinnfälligsten Ausdruck in der vom Kollektiv notwendigerweise sanktionierten Heirat zwischen Sabine und Olmers.

August von KotzebueDie gesellschaftliche Akzeptanz der Verbindung wird durch ein von den Protagonisten als Überlistung geplantes und empfundenes Verhalten erlangt, das sich aber dem Bann des vorgefundenen und offenbar unverrückbaren Formalitätsvakuums nicht entziehen kann. Aufklärerische Überzeugungsstrategien werden gar nicht erst versucht, nicht nur deshalb, weil ihnen von vornherein der Erfolg versagt bliebe, sondern weil sie als Potentialität von den Figuren nicht gedacht werden können. Oberflächlich scheint sich das lustspielübliche Diktum bestätigt zu haben, die Gesellschaft sei mit ihren eigenen Mitteln geschlagen worden. In Wirklichkeit demonstriert sich nachgerade ihre 'Unhintergehbarkeit', das emanzipatorische Ausweichmanöver kehrt zu jenem Ursprung zurück, dem es entfliehen wollte. Sie, die Gesellschaft, ist zu Revisionen nur bereit, wenn diese sich in das enge mentale Korsett, das zu lockern sie nicht willens und nicht fähig ist, einschnüren lassen. Das, was dem Zuschauer als Auflehnung vermittelt wird, erweist sich als affirmatives Manöver, das nicht einfach als strategisch-bewusstes Unterfangen zu interpretieren ist, sondern vielmehr als Indiz für die mentale und ideologische Internalisierung, demzufolge als unverrückbare und unaushöhlbare Wirkmächtigkeit gesellschaftlicher Statik zu betrachten ist, die trotz 'aufklärerischer Anfechtungen' unvermindert ihre Triumphe feiert. Der satirische Impuls gerät unter den Einfluss mentaler Gegebenheiten, die ihn quasi von innen her aufweichen.

Kotzebues "dramatisierte Studie biedermeierlicher Bürgermentalität" [18], sein in weiten Teilen sicher gelungenes "Porträt kleinbürgerlichen Unwesens" [19] entdeckt sich als fruchtbares Zeugnis bürgerlicher Mentalität im ausgehenden und beginnenden 19. Jahrhundert. Als wesentlicher Grundzug dieser Mentalität ist die bereits angesprochene moralische Indifferenz zu identifizieren. Das Oszillieren zwischen libertärem Gewährenlassen und moralischer Restriktion, wie es Kotzebue im Lustspiel exemplarisch vorführt, kann als Zeichen für einen Umbruch innerhalb der mentalen Landschaft angesehen werden - eine Krisensituation, die nachgerade orthodoxes Beharren auf moralischer Eindeutigkeit als Überlebensstrategie des Kollektivs herausfordert.

Holger Dauer

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Foto oben: Szene aus einer zeitgenössischen Inszenierung von Kotzebues "Die deutschen Kleinstädter" - Kupferstich aus der Ausgabe: August von Kotzebue`s dramatische Werke, Leipzig 1827 - 1829.
Cover Mitte: August von Kotzebue: Die deutschen Kleinstädter. Ein Lustspiel in vier Akten. Mit einem Nachwort von Otto C. A. zur Nedden. Stuttgart: Reclam 1994. (= RUB. 90.)
Foto unten: August von Kotzebue. Punktierstich von Christian Müller, nach einer Zeichnung von F. Jagesmann.

Lesen Sie auch den Beitrag: Meister des Banalen - Der Dramatiker August von Kotzebue

Sekundärliteratur zu August von Kotzebue

Anmerkungen

[1] Der Hinweis Jacob Minors, Schiller habe "La petite ville" aus dem Französischen übertragen, ist falsch (vgl. Minor, Jacob: Kotzebue als Lustspieldichter. Zu seinem 150. Geburtstage am 3. Mai 1911. In: Bühne und Welt 13 (1911) Bd. II, S. 109). Schiller übersetzte für das Weimarer Hoftheater lediglich die beiden Picardschen Erfolgsstücke "Der Parasit" ("Médiocre et rampant le moyen de parvenir", 1797) und "Der Neffe als Onkel" ("Encore des Ménechmes", 1802); beide wurden 1803 in Weimar aufgeführt. [zurück]

[2] Böttiger, Karl August: [Kritik zu Kotzebues "Die deutschen Kleinstädter"] In: Zeitung für die elegante Welt 2 (1802), S. 593. [zurück]

[3] Schlegel, August Wilhelm: [Kritik zu Kotzebues "Die deutschen Kleinstädter"] In: Zeitung für die elegante Welt 2 (1802), S. 630. [zurück]

[4] Schlegel, August Wilhelm: [Kritik zu Kotzebues "Die deutschen Kleinstädter"] In: Zeitung für die elegante Welt 2 (1802), S. 630. [zurück]

[5] Haubl, Rolf: Zur Trivialität Kotzebues. Psychohistorische Anmerkungen. In: Sprachkunst 13 (1982), S. 60. [zurück]

[6] Sengle, F[riedrich]: Wunschbild Land und Schreckbild Stadt. Zu einem zentralen Thema der neueren deutschen Literatur. In: Studium Generale 16 (1963), S. 619 - 631. [zurück]

[7] Jünger, Johann Friedrich: Das Ehepaar aus der Provinz. Ein Originallustspiel. In: Ders.: Komisches Theater. 3 Theile. Leipzig 1792 - 1795, hier: 2. Theil. Zitiert nach: Schaer, Wolfgang: Die Gesellschaft im deutschen bürgerlichen Drama des 18. Jahrhunderts. Grundlagen und Bedrohung im Spiegel der dramatischen Literatur. Bonn 1963. (= Bonner Arbeiten zur deutschen Literatur. Bd. 7.), S. 113. [zurück]

[8] Pütz, Peter: Zwei Krähwinkeliaden 1802/1848. Kotzebue - Die deutschen Kleinstädter. Nestroy - Freiheit in Krähwinkel. In: Die deutsche Komödie. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Hrsg. v. Walter Hinck. Düsseldorf 1977, S. 179. [zurück]

[9] Kotzebue, August von: Die deutschen Kleinstädter. Ein Lustspiel in vier Akten [1803]. Mit einem Nachwort von Otto C. A. zur Nedden. Stuttgart 1994. (= RUB. Bd. 90.), IV. Akt, 1. Szene, S. 62. - Alle nachfolgenden in Klammern gesetzten Akt-, Szenen- und Seitenzahlen beziehen sich auf diese Ausgabe. [zurück]

[10] Vgl. bes. III, 9, S. 52 f. [zurück]

[11] Krause, Markus: Das Trivialdrama der Goethezeit 1780 - 1805. Produktion und Rezeption. Bonn 1982. (= Mitteilungen zur Theatergeschichte der Goethezeit. Bd. V.), S. 477. [zurück]

[12] Requate, Jörg: Kommunikation/Neuzeit. In: Europäische Mentalitätsgeschichte. Hauptthemen in Einzeldarstellungen. Hrsg. v. Peter Dinzelbacher. Stuttgart 1993. (= KTA. Bd. 469.), S. 394. [zurück]

[13] Knigge, Adolf Freiherr von: Über den Umgang mit Menschen [1788]. Mit einer Einführung von Alexander von Gleichen-Rußwurm. Leipzig 1913. (= Deutsche Bibliothek. Bd. 46.), S. 25. [zurück]

[14] Knigge, Adolf Freiherr von: Über den Umgang mit Menschen [1788]. Mit einer Einführung von Alexander von Gleichen-Rußwurm. Leipzig 1913. (= Deutsche Bibliothek. Bd. 46.), S. 24. [zurück]

[15] Knigge, Adolf Freiherr von: Über den Umgang mit Menschen [1788]. Mit einer Einführung von Alexander von Gleichen-Rußwurm. Leipzig 1913. (= Deutsche Bibliothek. Bd. 46.), S. 22. [zurück]

[16] Stocker, Karl: Beispiel einer "gebrochenen" Komödie: "Die deutschen Kleinstädter" von August von Kotzebue. In: Ders.: Die dramatischen Formen in didaktischer Sicht. Donauwörth 1972, S. 99. [zurück]

[17] Zur 'Störenfriedformel' als charakteristisches Strukturmerkmal populärer Dramatik vgl. Klotz, Volker: Bürgerliches Lachtheater. Komödie, Posse, Schwank, Operette. München 1980, bes. S. 18. [zurück]

[18] Stocker, Karl: Beispiel einer "gebrochenen" Komödie: "Die deutschen Kleinstädter" von August von Kotzebue. In: Ders.: Die dramatischen Formen in didaktischer Sicht. Donauwörth 1972, S. 91. [zurück]

[19] Ueding, Gert: Rührstücke: Kotzebue, Iffland. In: Ders.: Klassik und Romantik. Deutsche Literatur im Zeitalter der Französischen Revolution 1789 - 1815. München u. Wien 1987. (= Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Bd. 4.), S. 320. [zurück]

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